Ein Artikel über die GGP Bern “Die neueste Sucht, Darmspiegelung”

Unser Kolumnist wurde zur Darmkrebs-Vorsorge aufgeboten – und kam ins Staunen. Irgendwann wird er für jeden von uns kommen, der Moment, in dem Herr oder Frau Doktor mit ernstem Blick von unseren Gesundheitsakten aufschaut, uns ernst in die Augen blickt und die Frage stellt, die man am liebsten überhören würde. «Herr Hebeisen, ich habe Sie etwas gefragt», riss mich kürzlich mein Medizinmann aus ebendieser Ignorierungs-Anstrengung. «Ich habe gefragt, ob Sie Ihre Darmspiegelung schon gemacht haben. Wenn nein, wäre es jetzt an der Zeit.»

Also rein ins Wartezimmer, in dem bereits einige bleiche Ü-50er sassen und in die Leere des Raums starrten, als stünde der Gang zum Schafott an.

Ich versuchte zu beschwichtigen. Der Darm funktioniere absolut untadelig, und wo kein Schaden sei, müsse man ja auch nicht unbedingt medizinisch herumstochern, und überhaupt … Der Arzt hörte sich meine Bedenken mit der Routine eines Mannes an, der das alles schon zur Genüge gehört hat, und überreichte mir wortlos ein Zettelchen mit dem Darmspiegelungs-Termin und ein Dossier mit beigelegtem Abführmittel und Anweisungen zum Prozedere der zuvor zu praktizierenden vollständigen Darm- und Magenentleerung. 

Die nächsten Tage waren erfüllt von Misere, Bangigkeit und selbst ausgelöstem Verdauungs-Unheil. Nachdem mich die Abführmittel einen halben Tag arbeitsunfähig gemacht hatten, steuerte ich hungrig und ausgemergelt ob des vorauseilenden Kummers die Stätte des Elends an. 

Spiegeln oder tanzen?

Beim Bastelzentrum sei die Spezialpraxis, hatte der Arzt noch erwähnt, weil offensichtlich noch immer alle wissen, wo in Bern das Bastelzentrum liegt, auch wenn zu vermuten ist, dass der momentane Ernst des Lebens die Freude an der Bastelei generell etwas dezimiert haben könnte. Niemand würde sagen, «Dir wird der Darm neben der New Dance Academy bespiegelt», diesem gläsernen Tanzstudio, das sich im selben Gebäude am Bubenbergplatz niedergelassen hat und mit dem Slogan «Tanze dein Leben und lebe deinen Tanz» für sich wirbt. 

Ein letzter Stossseufzer, ein letzter Gedanke, jetzt lieber hier mein Leben zu tanzen, als eine Sonde in den Verdauungstrakt gesteckt zu bekommen, und rein ins Wartezimmer, in dem bereits einige bleiche Ü-50er mit dem selbigen Aufgebot sassen und in die Leere des Raums starrten, als stünde der Gang zum Schafott an.

Immerhin stand die schlechte Laune der Wartenden in scharfem Kontrast zu den Google-Bewertungen, die den dortigen Darmspieglern ausgestellt wurden: «Wärmstens weiterzuempfehlen» oder «Gerne wieder!», stand da in der 5-Sterne-Sektion geschrieben, was mich eher zusätzlich verstörte. Das wurde auch nicht besser, als auf einmal meine Gemahlin, die aus Solidarität einen Termin vor mir gebucht hatte, euphorisch glucksend im Wartezimmer erschien, irgendwas von «Spass» und «Vergnügen» japste und mich beim Gang in den Behandlungsraum in völlig unangemessenem Übermut anfeuerte. 

In fünf Jahren wieder

Bald sollte ich erfahren, was sie meinte. Erst erschien eine Dame, die mir ein sedierendes Mittel zuführte, dann erschien ein Arzt, der ankündigte, dass ich bald ins Reich der Träume abgleiten würde und dass ich an etwas Schönes denken solle. Ich merkte, wie meine Sprache beim Versuch, Unbeschwertheit vorzugaukeln, immer schwammiger wurde, bis ich – mitten im Satz – in einen leicht halluzinogenen Dämmerzustand versank, später wohl in einen tiefen Schlaf. Als ich erwachte, war alles vorbei, Resultate wurden verkündet, es gab lecker Tee und den Rat, in fünf Jahren wiederzukommen. 

Ob das nicht schon früher möglich sei, hörte ich mich fragen. Und meine Ehefrau erkundigte sich, ob dieses verabreichte «Schlafmittel» denn auch käuflich zu erwerben sei, man wisse ja nie, ob man das womöglich mal brauchen könne. Das sei eher nicht zu empfehlen, meinten die Doktoren, sonst könnte sehr bald Schluss sein mit Lebensfreud und Lebenstanz, es handle sich nämlich um dasselbe Mittel, mit dem sich der ehrenwerte Michael Jackson ins Jenseits befördert habe.

Wir verzichteten auf weitere Nachforschungen. Aber den Termin in fünf Jahren haben wir dick in die Agenden eingetragen.

 
Quelle: DerBund